Donnerstag, 25. Januar 2007

Musiktherapie und Wirkungsforschung

Nach Darstellung der Orff-Musiktherapie als ressourcenorientierte, integrative und multimodale Musiktherapie erfolgt eine generelle Kritik der Wirkungsforschung und Anregungen zu deren Verbesserung.

1. Orff-Musiktherapie als multimodale Therapie

Die Orff-Musiktherapie betrachtet den Menschen unter einer multimodalen Perspektive und berücksichtigt damit potentiell zur Verfügung stehender Ressourcen der unterschiedlichen Sinneskanäle:

"Die Orff-Musiktherapie ist eine multisensorische Therapie. Der Einsatz der musikalischen Mittel - phonetisch-rhythmische Sprache, freier und gebundener Rhythmus, Bewegung, Melos in Sprache und Singen, das Handhaben von Instrumenten - ist so gestaltet, daß er alle Sinne anspricht." (Orff, 1974, 9)

2. Orff-Musiktherapie als Soziotherapie

Gertrud Orff betont den hohen Stellenwert, den sie in der Förderung sozialer Fähigkeiten erkennt:

"Einen besonderen Wert unserer Musiktherapie sehe ich in der Möglichkeit der sozialen Einübung." (Orff, 1974, 9)

3. Elementare Musik als Basis der Orff-Musiktherapie

Gertrud Orff führt das Orff-Schulwerk als ein musikalisches Fundament ihrer Therapie auf:

"Die Orff-Musiktherapie übernimmt die Idee des kreativ-spontanen Musizierens ... Die Orff-Musiktherapie hat sich organisch aus dem Orff-Schulwerk entwickelt." (Orff, 1974, 12-14)

4. Orff-Musiktherapie berücksichtigt die Therapeutenvariable

Die Person des Therapeuten wird als nicht standardisierbar erkannt. Damit vermeidet die Orff-Musiktherapie einen Fehler standardisierter Therapiemodelle, welche die Bedeutung der Person des Therapeuten unterschätzt oder gar ignoriert.

"Ganz wach muß sich der Therapeut auf das Kind einlassen, sensitiv beobachten, wo sich eine Einstiegsstelle bietet. ... Kommunikation kann man nicht fordern, sie muß sich einstellen. Blickkontakt kann man nicht herstellen, indem man das Kind zu einem Blickkontakt zwingt, Blickkontakt ergibt sich, er wird geschenkt. Wenn genug Aufmerksamkeit da ist, genug Zutrauen zum Therapeuten und der Situation, wird sich der Blickkontakt von selbst ergeben. Ich möchte meinen, auch der Therapeut sollte da eher scheu sein, indirekt das Kind anblicken, wenn das Kind den Blick verweigert, wenn es nicht die Kraft hat, anderen in die Augen zu schauen. Der erste volle Blick sollte vom Kind her kommen." (Orff, 1974,14f.)

Von Therapeut zu Therapeut unterscheidet sich beispielsweise die Fähigkeit, Vertrauen erzeugen zu können. Dies hat Gertrud Orff bereits 1974 sehr klar erkannt.

5. Wirkungsforschung und Musiktherapie (Teil 1)

Die Variable 'Therapeuten- bzw. Pädagogenpersönlichkeit' sollte in der musiktherapeutischen Wirkungsforschung stärker berücksichtigt werden. Wer aber nur glaubt, durch Orientierung an diagnosespezifische Behandlungsleitlinien den individuellen Einfluß des behandelnden Therapeuten ignorieren zu dürfen, mag davon zwar überzeugt sein, doch der Glaube kann ein korrektes wissenschaftliches Vorgehen nicht ersetzen. Ein mangelhaftes sozialwissenschaftlich-methodisches Forschungswissen führt in der Regel zu Forschungsdesign von verminderter Qualität.

Nun ist Musiktherapie auf keinen Fall mit musiktherapeutischer Forschung zu verwechseln. Das Beispiel der ressourcenorientierten, integrativen und multimodalen Orff-Musiktherapie soll in diesem Beitrag jedoch insbesondere zur Entwicklung von therapieadäquateren Forschungsdesigns anregen, mit denen das spezifische Potential der Musiktherapie deutlich klarer erfassbar werden kann.

Ein adäquates Forschungsdesign für Musiktherapie sollte aber auch a) die multimodale Komplexität des Behandlungsprozesses, b) die Auswirkungen unterschiedlicher Therapeuten berücksichtigen. Laborexperimente sind sicher nicht die die geeigneten Instrumente zur Erforschung der komplexen in der Realität stattfindenen pädagogischen und therapeutischen Prozesse.

6. Orff-Musiktherapie in Beziehung zum Personenzentrierten Ansatz und zur Nichtstandardisierten Therapie

Die über 30 Jahre alte Orff-Musiktherapie erscheint übrigens auch recht kompatibel zu dem modernen personenzentrierten Ansatz. Am personenzentrierten Ansatz (im Kontrast zum institutionsorientierten Ansatz) hat sich beispielsweise der Landschaftsverband Rheinland orientiert, als er im beginnenden Jahrtausend das Betreuten Wohnen fpr psychisch kranke, suchtkranke und behinderte Menschen umgestellt hat. Vergleiche hierzu Fierus (2004) Künstlerische Therapien in der Psychiatrie und Gromann (2001) Integrierte Behandlungs- und Reha-Planung.

"Wegen der Unterschiede in der menschlichen Person an und für sich und der Unterschiede, die sich durch die verschiedenen Behinderungen ergeben, können hierfür keine strikten Anweisungen, keine fertigen und für jeden Fall sicheren Programme gegeben werden. Es ist von Fall zu Fall neu zu entscheiden, behutsam und schnell." (Orff, 1974, 15)

7. Musiktherapie und Wirkungsforschung (Teil 2)

Leider besteht in der aktuellen Wirkungsforschung oft die Tendenz, den Therapeuten als Variable schlicht zu ignorieren. Gertrud Orff gehörte bereits vor über 30 Jahren zu den Musiktherapeuten, die die Komplexität der therapeutischen Situation nicht vorschnell unterschätzten. Musiktherapie ist natürlich nicht mit Wirkungsforschung der Musiktherapie zu verwechseln, jedoch bietet sich die Besprechung der Orff-Musiktherapie dazu an, auf geradezu offensichtliche blinde Flecken in vielen aktuellen Designs der Musikwirkungsforschung hinzuweisen: Das Spezifische an einer ressourcenorientierten multimodalen Therapie, als welche die Orff-Musiktherapie verstanden werden kann, besteht in der integrativen Nutzung der komplexen menschlichen Fähigkeiten und nicht in einer verkürzenden Reduktion. Wenn die Wirkung einer RIM-Therapie in adäquater Weise erfaßt werden möchte, sind zukünftig Forschungsdesigns zu erarbeiten, die der Qualität einer ressourcenorientierten multimodalen Musiktherapie in angemessenerer Weise erfassen können.

Quellen:

Gromann, Petra (2001) Integrierte Behandlungs- und Reha-Planung. Ein Handbuch zur Umsetzung des IBRP. Bonn: Psychiatrie-Verlag.

Fierus, Gerd (2004) Künstlerische Therapien in der Psychiatrie. Unveröffentlichte Diplomarbeit, zu beziehen über den Autor: Kontakt über den Kommentar-link dieses Beitrags.

Fierus, Gerd (2005-2007) Beiträge zur RIM-Therapie, siehe unter den Stichworten 'RIM-Therapie', 'RIM-Pädagogik', RIM-Konzept' In: http://kisumusik.blogspot.com

Orff, Gertrud (1974) Die Orff-Musiktherapie. Aktive Förderung der Entwicklung des Kindes. München: Kindler.

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